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Niederrheinmuseum neu eröffnetEin Leben mit dem Wasser

Lesezeit 4 Minuten
LVR-Niederrheinmuseum in Wesel

LVR-Niederrheinmuseum in Wesel

Das LVR-Niederrheinmuseum in Wesel wurde radikal umgestaltet und setzt in der neuen Ausstellung zur Kulturgeschichte des Niederrheins auf viel Menschlichkeit.

Was zeichnet die Menschen aus, die zwischen Emmerich und Düsseldorf, zwischen Rhein und Maas leben? Corinna Endlich muss es wissen. Immerhin hat sie sich drei Jahre lang mit dem Aufbau des LVR-Niederrheinmuseums in Wesel befasst, das soeben eröffnet wurde. Die aus Bremerhaven stammende Museumsleiterin schreibt im Begleitbuch zur Dauerausstellung: „Die Niederrheiner sind vor allem eins: sehr normal.“ Deutlich kecker fiel der Befund von Hanns Dieter Hüsch aus. Der vor 20 Jahren verstorbene Kabarettist aus Moers scherzte einmal: „Der Niederrheiner weiß nichts, kann aber alles erklären.“

Allein die Grundmauern blieben unverändert

Die frisch herausgeputzte Zentrale zur Kulturgeschichte des Niederrheins befindet sich am Ortseingang von Wesel, das seit 1407 eine Hansestadt ist. Offiziell ist nur von einer Neukonzeption die Rede. Doch in Wahrheit sind allein die Grundmauern des Gebäudes, das zur ehemaligen Festungszitadelle gehört, unverändert geblieben. Ansonsten ist alles anders. Aus dem inhaltlich und räumlich recht engen „Preußen-Museum NRW“ der Vergangenheit ist das luftig-bunte Niederrheinmuseum der Gegenwart geworden. Dafür hat der Landschaftsverband Rheinland 5,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.

Entstanden ist ein sinnenfreudiges Familienmuseum. Sobald die Besucherinnen und Besucher die Schauräume betreten, sollen sie emotional gepackt werden. „Das Auge isst mit!“, befand Corinna Endlich bei der Pressevorstellung. Die Dauerausstellung „Leben mit dem Wasser“ breitet auf 1400 Quadratmetern die Kulturgeschichte der vergangenen 800 Jahre aus. Diese wird anhand von 470 Exponaten veranschaulicht. Es ist also nicht die ganze Geschichte, die hier erzählt wird. Die Antike, die im benachbarten Xanten gewürdigt wird, und das frühe Mittelalter bleiben außen vor.

Der Rhein als Maß aller Dinge

Der Rhein ist das Maß aller Dinge. Er gibt nicht nur die Themen vor, wie das Aufkommen der Städte, die Grausamkeit der Kriege, der Austausch von Ideen und die Entwicklung der Wirtschaft von der Rheinfischerei bis zur Stahlproduktion. Er hat auch die „fließende“ Struktur der Präsentation im Untergeschoss inspiriert.

Insgesamt 42 Medienstationen sorgen für Basiswissen und allerlei Abwechslung. Das Publikum soll nicht bloß schauen, sondern auch hören, riechen und fühlen. Da vereinen sich die niederrheinischen Dialekte zu einem wundersamen Rauschen, aus dem dann einzelne Stimmen, unter anderem aus Köln und Bonn, ausgewählt werden können. Oder es scheppert aus den Lautsprechern der Industriestandort – mit Geräuschen von der Dampfmaschine bis zum Walzwerk. Weiter können die Waren, die auf dem Rhein transportiert wurden, erschnüffelt werden. Schließlich sind unterschiedliche Textilien, die für den Handel eine Rolle spielten, zum Abtasten ausgelegt; keine Sorge: Es gibt einen großen Stoffvorrat im Haus, weil bei dieser Station eine schnelle Abnutzung absehbar ist.

Im Mittelpunkt steht hier der Mensch

Während das Untergeschoss auf die Chronologie setzt, konzentriert sich das Obergeschoss auf Schwerpunkte. Einer davon ist das Brauchtum mit Schützenvereinen, St.-Martins-Umzügen und dem Karneval zwischen Wesel und Köln. Ebenfalls verlockend ist die Einführung in die Sprache der Region. „Der ‚typische‘ Niederrheiner“, informiert eine Tafel, sage nicht: ‚Er hat mal wieder geträumt.‘ In seinem „Regiolekt“ formuliere er die Aussage lieber so: „Der war widder am Träumen.“ Diese Sprachinsel ist in Gelb getaucht, in die Farbe des Duden – eine Hommage an den Niederrheiner Konrad Duden.

LVR-Niederrheinmuseum in Wesel

LVR-Niederrheinmuseum in Wesel

Überhaupt rückt hier „der“ Mensch in den Mittelpunkt. Eine populäre Verlockung ist die Galerie der niederrheinischen Persönlichkeiten vom Philosophen Jürgen Habermas bis zum Supermodel Claudia Schiffer, vom Mystiker Thomas von Kempen bis zum Fernsehmoderator Wim Thoelke. Auch Audrey Hepburn kann an der Leuchtwand angeknipst werden. Die Hollywood-Ikone („Frühstück bei Tiffany“) lebte im Zweiten Weltkrieg während der deutschen Besatzung im niederländischen Arnheim. Ja, das Museum ist grenzüberschreitend unterwegs. Die Nähe zum Nachbarland ist der Grund dafür, dass die Verantwortlichen bei den Beschriftungen Niederländisch und nicht Englisch als zweite Sprache – „als tweede taal“ – gewählt haben.

Als Zugabe geht es im Untergeschoss des Museums zurück zu den Anfängen. Dieser Bereich, der bei freiem Eintritt zugänglich ist, wird vom Verein GeoPark Ruhrgebiet als Informationszentrum geführt und widmet sich der Erdgeschichte. Dort ist zu erfahren, dass der Niederrhein im Devon, vor rund 400 Millionen Jahren, an der Südküste des Kontinents Laurussia lag. Über jene Zeit der Stachelhaie ist bekannt: „Das Leben spielte sich zunächst noch überwiegend im Wasser ab.“ Seitdem hat sich manches verändert. So feiert das Niederrheinmuseum nun das „Leben mit dem Wasser“. Das ist allemal erfrischend. Wenn die Stadt Wesel jetzt noch ein paar Schilder aufstellen würde, wäre der Weg zu dieser Attraktion überhaupt nicht mehr zu verfehlen.


LVR-Niederrheinmuseum Wesel, An der Zitadelle 14-20, Parkplatz an der Rheinbabenstraße. Geöffnet: Di.-So. 11-17 Uhr. Eintritt: 6 Euro, unter 18 Jahren: frei.

Begleitband: Felix Hildebrand und Corinna Endlich: „Leben mit dem Wasser – Das LVR-Niederrheinmuseum Wesel“, Nünnerich-Asmus Verlag, 224 Seiten, 19 Euro.