NRW startet ein Pilotprojekt, mit dabei sind auch zwei Kölner Schulen. Die Schulleiter äußern sich differenziert über das Phänomen Gewalt.
Pilotprojekt mit PolizeiWie rau ist der Ton auf den Schulhöfen? – Kölner Schulleiter berichten

Eine Prügelei auf einem Schulhof
Copyright: IMAGO/serienlicht
Jüngst auf einem Kölner Schulhof eines Gymnasiums: Ein Schüler aus der Oberstufe verprügelt einen Jungen aus der Mittelstufe, weil er ihn angeblich provoziert habe. Der Jüngere kommt schließlich ins Krankenhaus. Gewalt ist auch an Kölner Schulen Alltag. Schüler berichten von Mitschülern, die Messer mit in den Unterricht nehmen oder in Toiletten Videos aufnehmen und anschließend ins Internet stellen. Das Land NRW will nun gegensteuern mit dem Pilotprojekt „Miteinander stark, sicher – gemeinsam für eine gewaltfreie Schule“, an dem sich 20 Einrichtungen aus Nordrhein-Westfalen, darunter zwei aus Köln, beteiligen.
Das Projekt umfasst drei Bausteine: Zum einen sollen Lehrkräfte im Rahmen eines Deeskalationstrainings Techniken lernen, um Konflikte zu entschärfen. Zweitens sollen zivile Kripobeamte gemeinsam mit Lehrkräften Schüler und Schülerinnen im Unterricht für das Thema sensibilisieren und letztlich soll mittels „Pausengesprächen“ die Polizei Präsenz auf Schulhöfen zeigen.
Wir sehen bei Kinder- und Jugendkriminalität Entwicklungen, die uns besorgen. Immer mehr junge Menschen neigen zu Gewalt.
„Wir sehen bei Kinder- und Jugendkriminalität Entwicklungen, die uns besorgen. Immer mehr junge Menschen neigen zu Gewalt“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). „Wir müssen frühzeitig ansetzen, um Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wie sie Konflikte gewaltfrei lösen können.“
Alles zum Thema Herbert Reul
- NRW-Landtag verabschiedet Gesetz Staat kann künftig SMS von Verdächtigen mitlesen
- NRW-Verfassungsschutz wird für Anti-Terror-Kampf fit gemacht Reuls Novelle kann Leben retten
- Hohe Kosten auch in Köln Sind die Weihnachtsmärkte in Gefahr?
- Promi-Aktion im Stadion Wie Kunstwerke von Lothar Matthäus oder Herbert Grönemeyer Kölner Kindern helfen
- Jung, brutal, respektlos Kölner Forscher decken Gründe für Anstieg der Jugendkriminalität auf
- NRW-Innenminister Herbert Reuls ewiger Kampf gegen die Zeitumstellung
- „Stadtbild“-Aussage Berechtigter Hinweis auf die Realität
Für Aufsehen hatte eine Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung Anfang des Jahres gesorgt. 43 Prozent der bundesweit befragten Schulen, hatten Angriffe auf Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler gemeldet. 73 Prozent der Schulleiter gaben an, dass Lehrende an ihren Schulen in den vergangenen fünf Jahren beleidigt oder bedroht worden seien. In Köln waren 2023 laut Zahlen der Stadt die Zahl der Polizeieinsätze binnen eines Jahres von 1500 auf 2000 gestiegen. Bei den Körperverletzungen und Raubdelikten gab es einen Anstieg um 137 Prozent.
25.000 Straftaten an Schulen erfasst
Wird der Ton auf den Schulhöfen also rauer? Nicht unbedingt. An den Schulen in Nordrhein-Westfalen sind bis zum 22. September dieses Jahres fast 12.000 Straftaten polizeilich erfasst worden. 2024 wurden gut 25.000 Fälle gemeldet, wie aus einem Bericht des NRW-Innenministers hervorgeht. Das ist nicht wenig, anderseits bleiben die Zahlen aber seit 2022 stabil. Und bereits im Jahr 2010 wurden bereits etwa 25.000 Fälle erfasst.

Die polizeilich erfassten Straftaten an Schulen stagnieren in NRW.
Copyright: Grafik: KStA
Dem Bericht zufolge rückte die Polizei in diesem Jahr landesweit 242 Mal wegen Gewalt an Schulen aus. Im gesamten Vorjahr gab es 413 Einsätze, nach 272 im Jahr 2023 und 256 Einsätzen im Jahr 2022. 2010 waren es lediglich 91. Die Kölner Polizei berichtete dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, dass die Fälle im Bereich Bedrohung und Körperverletzung in den vergangenen drei Jahren nicht zugenommen hätten.
Kölner Schulleiter: „Körperliche und psychische Gewalt hatten wir vor acht Jahren auch schon“
Die beiden Kölner Schulleiter, die am Anti-Gewalt-Projekt teilnehmen, blicken sehr differenziert auf das Thema. „Natürlich rufen wir ab und zu mal die Polizei“, sagte der Schulleiter der Seeberger Henry-Ford-Realschule, Markus Jansen. „Man würde sich in die Tasche lügen, wenn man sagen würde, das gibt es nicht.“ Andererseits sei das Niveau und Volumen der Gewalt an seiner Schule in den vergangenen Jahren nicht spürbar gestiegen. „Körperliche und psychische Gewalt – all das hatten wir vor acht Jahren auch schon.“ Und Jansen legt Wert auf die Aussage, dass die Henry-Ford-Realschule keineswegs besonders auffällig sei, was Gewalt in der Schule angehe.
In der Vergangenheit habe seine Schule schon viel auf den Weg gebracht, um Gewalt zu verringern. So seien Streitschlichter und Pausenhelfer im Einsatz. Es gebe zudem Klassentrainings und das Projekt „Gemeinsam Klasse sein“ gegen Mobbing und Cybermobbing, das die Schule in Zusammenarbeit mit der Techniker-Krankenkassen durchgeführt hat. Das neue Anti-Gewalt-Projekt soll in den kommenden Wochen anlaufen. Erste Vorgespräche hätten bereits stattgefunden.
Ich dachte mir: Das ist ein Griff in die Klischeekiste, weil wir in einem von Armut betroffenem Gebiet liegen
Susanne Gehlen, Schulleiterin des Mülheimer Genoveva-Gymnasiums, hat erst gezögert, als sie gefragt wurde, ob sich ihre Schule am Projekt beteiligen wolle. „Ich dachte mir: Das ist ein Griff in die Klischeekiste, weil wir in einem von Armut betroffenem Gebiet liegen.“ Entgegen der öffentlichen Diskussion, die Gehlen als populistisch wahrnimmt, nehme Gewalt an Schulen eher ab. In den vergangenen drei Jahren könne sie sich allenfalls an einen Polizeieinsatz an ihrer Schule wegen Vandalismus erinnern. Zugenommen hätten dagegen die Beleidigungen in den sozialen Medien – etwa gegenüber den Lehrkräften.
Sinnvoll sei das Projekt dennoch, um den Schülern, von denen viele einen Migrationshintergrund haben, die Angst vor der Polizei zu nehmen. „Viele kommen aus einer Community, in der man das Gefühl hat, die Polizei sei nicht für sie da.“ Oft seien Familien froh, wenn sie nicht mit Polizei oder Ausländeramt konfrontiert werden. Manche hätten in der deutschen Gesellschaft schlechte Erfahrungen – auch mit Rassismus – gemacht. Andererseits sei es wichtig, die Kinder und Jugendlichen zu schützen. In Mülheim seien sie „extremen Verführungen“ etwa durch die Drogenszene im Viertel ausgesetzt.

