Die Novembernacht in Manfort hätte für das Opfer noch viel schlimmer ausgehen können, sagt die Rechtsmedizinerin.
Prozess wegen VergewaltigungSchläge, Bisse, Griffe an den Hals in Leverkusen

Im Vergewaltigungsprozess am Kölner Landgericht hatten am Mittwoch die Sachverständigen das Wort.
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Kurz vor 4 Uhr in der Nacht hatte die Polizei dem Martyrium in Manfort ein Ende gesetzt. Gegen 11 Uhr an jenem 7. November 2023 untersuchte Rechtsmedizinerin Eva-Kristina Litzenburger die Frau, die sich in der Nacht zuvor mit Orhan L. (Name geändert) in der Stixchesstraße verabredet hatte. Auf Sex gegen Geld. Statt der verabredeten zwei Stunden dauerte das Treffen in der Wohnung aber mehr als doppelt so lange. Und „lief völlig aus dem Ruder“. So fasste am Mittwoch Richter Benjamin Roellenbleck die Vorwürfe zusammen: Vergewaltigung, Gefährliche Körperverletzung.
Aus dem einvernehmlichen Sex wurden – das hat der Angeklagte schon am ersten Prozesstag eingeräumt – brutale Übergriffe, gegen die sich das Opfer nach Kräften wehrte. Zurück blieben Würgemale, Blutergüsse am ganzen Körper, ein blaues Auge, Bisswunden in der Brust. Einen falschen Schneidezahn verlor die Frau auch noch. Vom ungewollten Eindringen trug sie keine erkennbaren Verletzungen davon. Das, was Rechtsmedizinerin Litzenburger bei ihren Untersuchungen sah, „passte zu den Schilderungen“, erklärte sie. Gut möglich, dass sie den eingesetzten Zahn verlor, als Orhan L. ihr den Hals jener Wodkaflasche in den Mund stieß, die er im Laufe der verhängnisvollen Begegnung nach und nach leerte.
„Potenziell lebensbedrohliche“ Angriffe
Die Medizinerin hob hervor, dass Würgen „potenziell lebensbedrohlich“ sei, das Opfer mindestens aber in Todesangst versetzen könne. Zwar sei das Opfer nach allem, was man weiß, nicht bewusstlos geworden. Dennoch bleibe der Eindruck einer schlimmen Gewaltorgie – zumal Orhan L. ein kompakter, kräftiger Mann ist.
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Dass die Begegnung mit seinem Mandanten lebensgefährliche Züge für das Opfer hatte, versuchte Verteidiger Günter Teworte zu entkräften. Der Rechtsmedizinerin warf er vor, ihr Gutachten „tunnelmäßig“ zu erstatten: Sie lasse die Möglichkeit außer Acht, dass blaue Flecken auch älter sein, also nichts mit Orhan L. zu tun haben könnten. Hier und da rang Teworte der Sachverständigen eine Relativierung ab – ob das Gericht sich diese Sicht zu eigen macht, wird sich zeigen.
Psychiater sieht keine Krankheit beim Täter
Roellenbleck, Vorsitzender Richter der 13. Großen Strafkammer am Kölner Landgericht, hatten den gesamten dritten Verhandlungstag den Sachverständigen gewidmet. Nach Rechtsmedizinerin Litzenburger kam der psychiatrische Gutachter Sven-Uwe Kutscher zu Wort. Letzterer hält den 32 Jahre alten Angeklagten für voll schuldfähig. Zwar hatte er – hochgerechnet – im Verlauf des Treffens rund 2,8 Promille Alkohol im Blut und eine Menge Kokain zu sich genommen.
Aber es war eben nur ein Rausch: Für eine psychische Erkrankung oder eine Persönlichkeitsstörung hat Kutscher keine Hinweise gefunden. Insgesamt macht der Mann, der im Alter von sechs Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen war, auf den Psychiater einen soliden Eindruck. Zu seinem heute sechs Jahre alten Sohn aus einer früheren Beziehung hält er Kontakt, mit seiner jetzigen Partnerin scheint es auch zu laufen. Sieht man mal von der Verabredung mit der Prostituierten ab, die Orhan L. nach übereinstimmenden Angaben seit fünf Jahren kannte und ganz gelegentlich mal traf.
Der Psychiater erklärt sich die Gewaltorgie in der Nacht zum 7. November in Manfort eher damit, dass sich Orhan L. in einem Ausnahmezustand befunden hat. Am 6. November hatte unweit seines Geburtsortes im Süden der Türkei die Erde gebebt und eine Katastrophe ausgelöst. Bis zum Abend habe ihn die Sorge um seine Lieblingstante umgetrieben, hatte der Angeklagte mitgeteilt. Dass er sich mit dem Besuch bei der Prostituierten irgendwie ablenken wollte, erscheint dem Gutachter und der Strafkammer offenbar irgendwie erklärlich. Gestützt wird diese Hypothese durch die Aussage des Opfers: Sie habe „irgendwas ausbaden“ müssen, wofür sie nichts könne, war gegenüber der Polizei ihre Erklärung für den Gewaltakt.
Wie das alles strafrechtlich einzuordnen ist, wird sich in zwei Wochen zeigen. Dann soll in Köln das Urteil gesprochen werden.