Am Montag gedachten Hunderte Schüler und Erwachsene am Platz der Synagoge und in der Opladener Fußgängerzone der ermordeten Juden der Stadt.
HolocaustSchüler recherchieren Schicksal eines jüdischen Leverkuseners

Schülerinnen und Schüler des Landrat-Lucas-Gymnasiums und ihr Lehrer Oliver Schonecke (l.) am Grab von Leo Rosenthal
Copyright: Peter Seidel
Leo Rosenthal ist promovierter Chemiker, auch seine Frau Akademikerin. Dr. Rosenthal ist angestellt bei den Farbenfabriken Bayer, arbeitet im Werk Elberfeld. Seit 1915 hat er mit Frau und Sohn Werner eine Wohnung in Schlebusch. Das bürgerliche Leben des jüdischen Chemikers und seiner Familie ist am 9. November 1938, in der Pogromnacht, endgültig vorbei. Leo und Werner Rosenthal werden von den Nazis verhaftet und für einen Monat im Konzentrationslager Dachau bei München eingesperrt.
Zwar kommen sie wieder frei, doch Rosenthal-Vater wird bald darauf erneut verhaftet, diesmal landet er im Klingelpütz in Köln. Am 27. Februar 1939 wird er tot in seiner Zelle aufgefunden. Selbstmord durch Erhängen, notieren die Nazis. Rosenthal wurde 53 Jahre alt. Er ist für viele Jahrzehnte der letzte Jude der Leverkusener Gemeinde, der auf dem Friedhof an der heutigen Robert-Blum-Straße beerdigt wird.
An sein Schicksal und an das seiner Frau und seines Sohnes haben sechs Schülerinnen und Schüler des Landrat-Lucas-Gymnasiums während der Gedenkfeier der Stadt auf dem Opladener Platz der Synagoge am Montag erinnert. Angeregt durch einen Artikel im „Leverkusener Anzeiger“, hatten die Jugendlichen Rosenthals Schicksal unter anderem im Stadtarchiv und im Archiv der Bayer AG im Rahmen eines Projektes recherchiert.
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Kinder mussten Scheiben einwerfen
Bevor die Jugendlichen zu Wort kommen, spricht Oberbürgermeister Stefan Hebbel über die Geschichte des kleinen Platzes an der Ecke Altstadt- und Lessingstraße. „Die Synagoge war ein kleines Backsteingebäude, das erst Ende des 19. Jahrhunderts erbaut worden war. Am Morgen des 9. November 1938 fordern SA-Männer und andere Nazis Kinder auf dem Schulweg auf, die Scheiben der Synagoge einzuwerfen.“ Am Nachmittag schließlich gossen sie Benzin aus und zündeten die Synagoge an.

Die Gedenkstunde begann auf dem Platz der Synagoge in Opladen.
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Hebbel schlägt den Bogen zu heute, als er sagt: „Viele Jahre lang haben wir diese Gedenkstunde im vermeintlich sicheren Abstand der Jahrzehnte gefeiert.“ Doch das sei seit dem 7. Oktober 2023 vorbei, als Hamas-Terroristen mehr als 1200 israelische Juden ermordeten. In der Folge kam es auch in Deutschland zu antisemitischen Übergriffen bislang nicht gekannten Ausmaßes. Hebbel: „Gleich aus welcher Weltanschauung heraus – wir können Antisemitismus nicht tolerieren.“
Nach seiner Ansprache und dem Totengebet auf Hebräisch begeben sich Hunderte Schüler und Erwachsene auf den Weg durch die Opladener Fußgängerzone. Jungen und Mädchen der Montanus-Realschule erinnern an drei Stellen auf der Kölner Straße an die Schicksale jüdischer Opladener, die früher dort wohnten. Sie berichten aus ihrem Leben und verlesen ihre Namen.

Schüler der Montanus-Realschule erinnern an jüdische Bürger Opladens.
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Den Abschluss bildet der Gang zum Friedhof. Den hatten Ende Oktober elf Pfadfinder vom Leverkusener Stamm „Orion“ von allerlei Unrat befreit und auch das hoch wuchernde Wiesengras gemäht, gleichfalls angeregt durch unsere Berichterstattung.
Auf dem seit 1833 als Friedhof genutzten Gelände erzählt Luca Hirsekorn, einer der Schüler, die sich im Rahmen ihres Geschichts-Leistungskurses mit Leo Rosenthals Leben befasst haben, dass er und einige seiner Mitschüler auf Kursfahrt im Oktober auch das Ghetto Theresienstadt im heutigen Tschechien besucht hätten. Leo Rosenthals Frau Käthe war dort ermordet worden. „Als wir das erfahren haben, fühlte sich das sehr nah an.“
Rassismus-Erfahrungen und Ausgrenzung sind einigen aus der Projektgruppe nicht fremd, das wird im Gespräch klar. Jonathan Wenzens etwa erzählt von abgebrochenen Fußballspielen seines Vereins SV Lützenkirchen, „weil Spieler aus unserer Mannschaft rassistisch beleidigt wurden“. Sila und ihre Zwillingsschwester Sara Kilic haben als Alevitinnen, eine religiöse Minderheit mit Wurzeln in der Türkei, schon schlimme Beleidigungen gehört. Und beide haben genauso wie Mitschülerin Georgina Christoglou ein Leverkusener Gymnasium verlassen und sind ans LLG gewechselt, weil sie sich hartnäckigen Vorurteilen von Lehrern gegenüber und in Schubladen gesteckt sahen, aus denen es für sie an ihrer ehemaligen Schule kein Herauskommen gab – trotz guter schulischer Leistungen.
Das zeigt, dass Hebbels Feststellung in seiner Ansprache zuvor – „Das Zusammenleben vieler Kulturen in Leverkusen funktioniert immer noch gut in Leverkusen“ – keine Selbstverständlichkeit ist und immer wieder neu verteidigt werden muss. Wie zum Beispiel durch ein Schülerprojekt auf dem jüdischen Friedhof.

